Unsere Filme im September - Komplexität
Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln
22.09.

Tokio am 25. November 1970: die Tatenokai, die Privatmiliz des Schriftstellers Yukio Mishima, übernimmt in einem Putschversuch den Sitz der japanischen Streitkräfte und Mishima fordert die Wiedereinsetzung des Kaisers als oberstes Staatsoberhaupt. Es ist das Finale eines Lebens voller Widersprüche: unzählige Romane, die japanische Tradition und westliche Einflüsse verbinden, während er selbst vom Westen und dessen Materialismus abgestoßen ist; Körperkult und unterdrückte Homosexualität; avantgardistischer Aufbruch in der japanischen Literatur, gleichzeitig ein radikaler, nationalistischer Traditionalist mit Todessehnsucht und dem Drang zur „absoluten Schönheit“. Der Putschversuch bildet für Schrader die Rahmenhandlung für eine Biografie Mishimas, die er anhand von vier optisch überwältigenden Rückblenden erzählt, die alle an Werken Mishimas orientiert sind und gleichzeitig die Wandlung seines literarischen Werkes veranschaulichen.

Paul Schraders Filme, sowohl als Autor wie auch als Regisseur, sind geprägt von ihren schwierigen, selbstzerstörerischen Hauptcharaktere, die die Fähigkeit des Publikums zur Identifikation herausfordern. Schrader begibt sich stets auf die Suche danach wie diese Menschen zu dem wurden, was sie sind, und welche Rolle die Gesellschaft dabei spielt. Bis heute ist Paul Schrader wohl am bekanntesten für zwei Drehbücher, die er für Martin Scorsese schrieb: „Taxi Driver“ und „Wie ein wilder Stier“.

Die ungewöhnlichste Filmbiografie, die ich je gesehen habe, und eine der besten. […] ein Triumph präzisen Schreibens und präziser Konstruktion […] Die unkonventionelle Struktur des Films […] entfaltet sich mit perfekter Klarheit und gibt den Blick auf die dahinterliegende Logik frei.“ Roger Ebert

Vielleicht hat Schrader endlich die gewalttätige Wandlung vollzogen, die er gemeinsam mit seinen Protagonisten sucht […] Philip Glass’ eindringliche Musik verwandelt das ganze in eine Oper. Mit nichts zu vergleichen.“ Time Out Film Guide

(Textverantwortlicher: JR)

Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln Still
Psycho
29.09.

„Der beste Freund eines Mannes ist seine Mutter.“

Wer von uns muss nicht unweigerlich an Janet Leigh unter der Dusche denken. Eine fünfundvierzig Sekunden lange Szene, bestehend aus siebzig Kamerapositionen. Die düster-gotische Villa, die sich gegen den Nachthimmel reckt. Wohl das berühmteste Haus der Filmgeschichte. Die skurillen und angsteinflößenden Requisiten, bestehend aus ausgestopften Tieren, Messern, düsteren Treppen und Totenschädeln. Wir hören Musik, sehen ein oder zwei erleuchtete Fenster. Dahinter die Silhouette einer Person. All das und noch vieles mehr macht den Film zu einem alptraumhaften Labyrinth aus dem es kein entfliehen gibt. Hitchcock in Höchstform.

Eigentlich erzählt „Psycho“ eine ziemlich simple Geschichte, und die Auflösung am Ende ist nach den Erkenntnissen der modernen Psychiatrie wohl mehr als dürftig, so die „Cinema“. Was den Film dennoch seine einmalige Faszination gibt, ist der alle Feinheiten des Psycho-Horrors einbeziehende Inszenierungsstil. Die Art, in der Form und Inhalt ineinander aufgehen und so vieldeutige Assoziationen zulassen. Die Hälfte aller Bildsequenzen sind stumm. Das Tempo der Montage ist atemberaubend. Die Filmmusik von Bernard Herrmann ist auf der Höhe des Geschehens. Das stark rhythmische Geigenspiel während der Duschszene. Eine Motiv was immer wieder im Film auftaucht und die Zuschauer_innen im Kinosessel versinken läßt. Hitchcock schreckt auch nicht davor zurück, seine Hauptdarstellerin bereits im ersten Drittel des Films umkommen zu lassen.

Was Psycho unsterblich macht, während so viele Filme bereits halb vergessen sind, wenn man das Kino verlässt: Dieser Film spricht unmittelbar unsere Ängst an, zum Beispiel die Angst, im Affekt einen Verbrechen zu begehen oder Opfer eines Wahnsinnigen zu werden, unsere Angst vor der Polizei und natürlich die Angst, unsere Mütter zu enttäuschen.“ Chicago Sun-Times

(Textverantwortlicher: JU)

Psycho Still
Unsere Filme im Oktober - Garten
Willkommen Mr. Chance
06.10.

Ich kann nicht schreiben. Ich kann nicht lesen. Ich mag es Fernsehen zu schauen.“ Alles was er über die Welt weiß, weiß er aus dem Fernsehen. Nie hat Mr. Chance das Grundstück in Washington D.C. verlassen, auf dem er Zeit seines Lebens für einen wohlhabenden Mann als Gärtner gearbeitet hat. Nun, nach dem Tod des Mannes und der Auflösung des Hauses, steht Mr. Chance auf der Straße und ist überfordert von der Welt um sich herum. Durch ein Namensmissverständnis gelangt Chance, der Gärtner, als angeblicher Ökonom Chauncey Gärtner in die Oberschicht von Washington D.C. aus Unternehmen und Politik. In seinen aufs Gärtnern bezogenen Sätzen glauben die Leute einen Ausdruck tiefer Weisheit und Metaphern auf die wirtschaftliche Lage zu erkennen. Dabei will er doch einfach nur zurück in seinen Garten.

Die 1970er Jahre stellten eine Glanzzeit für Satiren im US-amerikanischen Kino dar: zu nennen seien sonst noch „Bill McKay – Der Kandidat“ mit Robert Redford oder Sidney Lumets „Network“. Für seine Darstellung des sterbenskranken Unternehmers Ben Rand erhielt Melvyn Douglas einen Oscar als Bester Nebendarsteller und Peter Sellers war für seine Rolle, die seine vorletzte sein sollte, ebenfalls für einen Oscar nominiert, musste sich allerdings gegen Dustin Hoffman in „Kramer gegen Kramer“ geschlagen geben.

Eine tragikomische, teilweise sarkastische Satire über die Schwächen der modernen Industrie- und Finanzgesellschaft, insbesondere den unbegrenzten, abstumpfenden Konsum der allzu mächtigen Fernsehprogramme. Hervorragend gespielte Unterhaltung mit Substanz.“ Lexikon des internationalen Films

(Textverantwortlicher: JU)

Willkommen Mr. Chance Still
Lautlos im Weltraum
13.10.

On Earth, everywhere you go, the temperature is 75 degrees. Everything is the same; all the people are exactly the same. Now what kind of life is that?

Nach einer atomaren Katastrophe ist die Erde nahezu völlig verödet. Auf einer Umlaufbahn des verseuchten Planeten kreist der Raumfrachter „Valley Forge“, in dessen riesigen Biokuppeln Wälder und Gärten herangezüchtet werden, mit deren Hilfe die zerstörte Biosphäre wieder belebt werden soll. Eines Tages erhält die Besatzung von der Bodenstation überraschend den Befehl alle Zuchtergebnisse zu vernichten, da der Raumfrachter zu profitableren Zwecken eingesetzt werden soll. Soll die jahrelange Anstregung umsonst gewesen sein und verliert die Erde ihre wahrscheinlich letzte Chance auf eine Wiederherstellung?

Douglas Trumbull hat jahrelang mit Kubrick gearbeitet. Seine „special effects“ zu „2001: A Space Odyssey“ brachte ihm den Oscar ein. Weitere Arbeiten mit großen Erfolgen folgten. „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, „Star Trek: Der Film“ oder „Blade Runner“. Bruce Dern aka Freeman Lowell, unser Held im Film, ist niemand Geringeres als der Vater unserer vielseits geschätzen Laura Dern („Blue Velvet“). Joan Baez, US-amerikanische Volkssängerin und Bürgerrechtlerin, war so begeistert vom Script, dass sie einen Teil des Soundtracks schuf.

Douglas Trumbulls Regiedebüt lässt sich «als Illustration des Lebensgefühls der Jugend zu Beginn der siebziger Jahre verstehen. Die Projektion ins 21. Jahrhundert kann (…) nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein brennend aktuelles Problem artikuliert wird, nämlich die Sehnsucht nach dem natürlichen Lebensraum und der Kampf um die Erhaltung der Natur.“ Lexikon des Science-Fiction-Films, 1987

Letztes Jahr feierte der Film seinen 50ten Geburtstag. Und letztes Jahr verstarb Douglas Trumbull im Alter von 80 Jahren. Rest in Peace.

(Textverantwortlicher: JU)

Lautlos im Weltraum Still
The Garden
20.10.

„I walk in this garden / Holding the hands of dead friends.

Old age came quickly for my frosted generation, /

Cold, cold, cold, they died so silently.“ 

(Derek Jarman, „The Garden“)

„The Garden“ (1990) ist ein subjektiver, höchst sinnlicher Strom von Bildern, der kühn die Möglichkeiten des Kinos austestet. Der Experimentalfilm kommt ohne Dialoge aus, lyrische Erzählstimmen und ein betörender Soundtrack von Simon Fisher-Turner bestimmen die Tonspur. Derek Jarman (1942-1994) verhandelt darin nicht nur die eigene Sterblichkeit, er klagt auch wütend das repressive Klima gegen Schwule und Lesben unter der Regierung Margaret Thatchers in der Hoch-Zeit der Aids-Krise an – und hinterfragt kritisch die Rolle der katholischen Kirche in der Jahrhundert-langen Homosexuellen-Verfolgung.“ (Salzgeber)

Derek Jarmans experimentelles Filmpoem „The Garden“ (1990) entstand ziemlich genau in der Mitte der wenig mehr als sieben Jahre, die ihm nach seiner AIDS-Diagnose im Dezember 1986 noch bleiben sollten – einer geradezu obsessiv schöpferischen Periode, wie unter anderem zahlreiche Langfilme – „The Last of England“ (1987), „War Requiem“ (1989), „Edward II“ (1991), „Wittgenstein“ (1993) und „Blue“ (1994) – sowie unzählige Musikvideos, u.a. für die Pet Shop Boys, The Mighty Lemon Drops, Patti Smith und The Smiths bezeugen. Gedreht wurde dieser Film vorwiegend an Jarmans letztem Wohnsitz, Prospect Cottage, der indigoschwarzen Fischerhütte mit markant gelben Fensterrahmen; vorne Seeblick, den Atommeiler Dungeness B im Rücken. Der von Jarman angelegte Garten, räumlich-konkrete Kulisse und symbolisch aufgeladener Dreh- und Angelpunkt des Films, war im echten Leben Therapie, Apotheke, Kunst- und Rückzugsort. Jarman hatte ihn unwirtlichem Kiesstrand und Salzwasser abgerungen. Hier wächst bis heute Seekohl neben kalifornischem Mohn, Santolina, Fenchel und Echtem Baldrian; er ist von Bienen und Eidechsen bevölkert und von rostigen Metallskulpturen durchzogen. Kunstvoll arrangierte Findlinge zeugen außerdem von Jarmans lebenslanger Faszination für das vorchristliche Britannien und dessen Kultstätten; einer davon hatte er einen seiner frühen Kurzfilme gewidmet („Journey to Avebury“, 1971), wie bei der Mehrzahl seiner Filme und ebenso bei „The Garden“ mit Hilfe einer Super 8-Kamera.

„Why have I escaped from the garden? Because it has no fence or boundaries, so who can guess where it ends?” 

(„Derek Jarman’s Garden“)

Im Film erscheint dieser Garten am südöstlichen Rand der britischen Insel zuallererst als Ort der Ausgrenzung, der Ohnmacht und des Martyriums. Hier wird mit Zorn und Trauer ein Abgesang auf die die hedonistische Unschuld vor AIDS angestimmt – und damit auch auf eine Zeit des Aufbruchs, als queere* Communities weltweit und mit unterschiedlichem Erfolg begonnen hatten, Respekt und Legitimität für sich zu erstreiten. Und dennoch finden sich hier stets auch utopische, ermächtigende Momente, allem voran in der Feier des Jarmanschen Gartens als kreativem, widerständigem und auch durch seine Meereslage überbordendem und entgrenztem Biotop.

(Textverantwortliche: AR)   (^・ﻌ・^✿)

 

The Garden Still
Wallers letzter Gang
27.10.

Filmtext folgt bald!

Wallers letzter Gang Still
Unsere Filme im November - Chile
Nostalgia de la Luz – Nostalgie des Lichts
03.11.

Auftakt unseres Monatsthemas „¡Chile Presente!“ mit Filmen von und über Chile. Im Rahmen von „Chile 50“, einer Veranstaltungsreihe unter Federführung des AStA der Universität Bielefeld.

 

Filmtext und Infos zu den weiteren Filmen der Reihe folgen bald!

Nostalgia de la Luz – Nostalgie des Lichts Still