Unsere Filme im März - Déjà-Vu
Die unendliche Erinnerung
22.03.

Mit „La memoria infinita“ kehren wir zurück nach Chile, das Land, dem wir 2023 einen Kinomonat widmeten. Wieder spielt das Erinnern eine tragende Rolle; im Zentrum des vielfach ausgezeichneten Dokumentarfilms von Maite Alberdi steht jedoch die Liebe zweier Menschen, die bedroht wird durch eine lebens- und identitätszerstörende Krankheit.

In Chile sind sie ein prominentes Paar: Augusto Góngora, Journalist, bekämpfte im Fernsehen der 1980er Pinochet und nach der Diktatur die lähmende Amnesie, die das Land weiterhin fest im Griff hatte. Paulina Urrutia ist eine bekannte Schauspielerin, die in der sozialistischen Regierung Bachelet das Amt der Kultusministerin innehatte. Als bei Augusto Alzheimer diagnostiziert wird, beschließt sie, nicht nur die Pflege ihres Mannes zu übernehmen, sondern auch ihren gemeinsamen Alltag zu dokumentieren. Maite Alberdi, die sich bereits in früheren Werken wie „Ein Maulwurf im Altersheim“ (2020) mit dem Alter und seinen Begleiterscheinungen befasste, begleitete das Paar über Jahre hinweg und nähert sich seiner Geschichte mit Feingefühl, mitunter auch humorvoll an. Wie Esther Buss (Filmdienst) bemerkt, vereinigt „Die unendliche Erinnerung“ so unterschiedliche Elemente wie Paulinas „intim[e] Home Movies, deren technische Fehler vor Voyeurismus bewahren“, von Alberdi produziertes Material und private sowie Archivfundstücke. Das Ergebnis ist „kein Krankheitsprotokoll“, sondern „ausdrücklich als Liebesgeschichte konzipiert“.

Trotz des sperrigen Themas war der Film in Chile ein Publikumserfolg, der bei seiner Premiere Greta Gerwigs „Barbie“ von der Spitzenliste verdrängte. Beim Sundance Festival 2023 errang er den Preis der Grand Jury und im Februar 2024 den Goya in der Kategorie Iberoamerikanischer Film. Außerdem ist er für die Academy Awards 2024 nominiert.

(Textverantwortlich: AR) (=`ﻌ´=)

Die unendliche Erinnerung Still
Glücklich wie Lazzaro
29.03.

„Inviolata“ („unberührt“), ein ländlicher Flecken in einem Italien unbestimmter Zeit: In dieser vermeintlichen Idylle schuften die Einheimischen als Tagelöhner_innen auf den Tabakfeldern der Marchesa Alfonsina Di Luna (Nicoletta Braschi). Ganz unten in der Hackordnung ist der elternlose, zwanzigjährige Lazzaro (Adriano Tardiolo). Stets freundlich und sanft, beansprucht er nichts für sich und wird daher von den anderen für ein wenig dumm gehalten. Ausgerechnet um die Freundschaft Lazzaros wirbt Tankredi, Stammhalter der Di Lunas, der sich schrecklich langweilt in der Einöde des schmucken Familienanwesens. Zusammen durchstreifen sie die Gegend, täuschen gar Tankredis Verschwinden vor, als die Marchesa die Freunde auseinanderbringen will. Doch dann geschieht ein Unglück, und alles wird anders.

Philipp Stadelmeier (Süddeutsche Zeitung) erinnerte der mit dem „Besten Drehbuch“ in Cannes ausgezeichnete Film, der auf 16 mm gedreht wurde und daher „selbst wie aus einer anderen Zeit zu stammen [scheint]“, „ein wenig an Vittorio De Sicas ‚Das Wunder von Mailand‘ von 1951, in der ein anderer vom Himmel gesegneter Junge den Slumeinwohnern der Stadt etwas Glück und Freude bringt. Aber Rohrwachers Film ist viel bitterer als De Sicas sozialromantische Vision. Eher noch ist ihr Film ein Gleichnis auf eine lange Geschichte der Unterdrückung und der sozialen Ungleichheit in Italien und der Welt überhaupt, im Geiste Pier Paolo Pasolinis. … Er durchquert eine Geschichte der Bosheit und Unterdrückung und ist dabei so naiv, dass er es nicht bemerkt. Der Heilige ist auch ein Idiot. … Aber nur durch ihn ist in dieser Unterdrückung kurz so etwas Absurdes aufgeleuchtet wie die Idee, dass alle Menschen glücklich sein könnten.“

(Textverantwortlich: AR)    ₍˄·͈༝·͈˄₎◞ ̑̑

Glücklich wie Lazzaro Still
Unsere Filme im April - Schreiben
Die Bettlektüre
05.04.

Aller guten Dinge sind drei. Die Zahl Drei gilt als ein Symbol für Vollkommenheit. Wir sehen dreidimensional. Der Dreiklang klingt besonders harmonisch. Das Dreieck ist die „erhabenste“ geometrische Figur. Vielleicht würde Peter Greenaway diese Einleitung gefallen. Nutzt er doch andere Kunstformen wie Architektur, Bildende Kunst, Kalligrafie oder Musik um seinen Anspruch von der Sprache des Films gerecht zu werden. Wir zeigen seinen dritten Film. Nach „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ und „Der Kontrakt des Zeichners“ schicken wir „Die Bettlektüre“ auf unsere Kinoleinwand.

Nagiko ist die Tochter eines Kalligraphen. Als sie sechs Jahre alt war, schloss der Vater mit seinem Verleger eine Vereinbarung zur Verheiratung Nagikos mit einem damals Zehnjährigen. Einige Jahre später kommt es zur Hochzeit, doch der Ehemann erweist sich als Verächter von Literatur und Kalligraphie. Nagiko verlässt ihn und zieht nach Hongkong.

Für seine Adaption des „Kopfkissenbuchs der Sei Shonagon“, eines 1000 Jahre alten Buchs über Kunst und Sexualität, schöpfte Greenaway bei der digitalen Bildmanipulation aus dem Vollen. Im japanischen Kanji, einem ikonischen Schriftzeichen, fand er im Kleinen jene Verschmelzung von Bild und Text, die sein Filmschaffen im Grossen anstrebt. «Mein erster Film mit einem Happy End», sagt Greenaway, der mit seiner Heldin Nagiko – die als Künstlerin, Frau und Mutter reüssiert – auch die feministische Kritik zufriedenzustellen hoffte.“ Filmpodium

„Greenaway entwickelt in diesem Film eine komplexe und detailreiche Erzählung in Bildern von erlesener Schönheit. Alles ist bis ins kleinste Detail kompositorisch durchdacht und akribisch mit Bedeutung besetzt. Vielfach bricht sich die Handlung in nebeneinander gesetzten Bildern, die wiederum von weiteren, elektronisch eingearbeiteten „Fenstern“ überlappt werden, so daß die Handlung zur selben Zeit oft aus verschiedenen Perspektiven oder aus zeitlich leicht versetzten Erzählwarten zu verfolgen ist. Die Off-Erzählung Nagikos, der Einsatz verschiedener Sprachen, der Spaziergang durch die Kulturen wird zum Diskurs über Raum und Zeit, Ost und West, Erotik und Kultur, männliche und weibliche Wahrnehmung und Sinnlichkeit.“ Fimdienst

(Textverantwortlich: JU)

Die Bettlektüre Still
Audre Lorde – Die Berliner Jahre 1984 bis 1992 (Regisseurin zu Gast!)
12.04.

Wir freuen uns sehr, dass Dagmar Schultz, Produzentin & Regisseurin, am Abend per Videokonferenz für ein Filmgespräch bei uns zu Gast sein wird!

Audre Lorde (1934-1992) ist eine bedeutende US-amerikanische Dichterin und Aktivistin. „Audre Lorde – die Berliner Jahre 1984 bis 1992“ dokumentiert ihren Einfluss auf die deutsche Politik- und Kulturszene in einem Jahrzehnt tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen, einem Jahrzehnt, das den Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland brachte. Die Chronik beschreibt ein bisher unbekanntes Kapitel in Lordes Leben: ihre Ermächtigung afrodeutscher Frauen, die weiße Frauen dazu aufforderte, die Bedeutung ihres weißen Privilegs anzuerkennen und konstruktiv mit Unterschieden umzugehen.

Unterstützt durch Lordes Beispiel begannen afrodeutsche Frauen, ihre Geschichte und ihre Geschichten aufzuschreiben und politische Netzwerke im Namen Schwarzer Menschen in Deutschland zu bilden. In der Folge veröffentlichten Autorinnen wie May Ayim, Katharina Oguntoye und Ika Hügel-Marshall ihre Werke. „Audre Lorde – Die Berliner Jahre 1984 bis 1992“ skizziert Lordes Beiträge zum deutschen Diskurs über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Klassismus und Homophobie innerhalb der Schwarzen Bewegung und der Schwarzen und Weißen Frauenbewegung.

Audre Lordes Geburtstag jährte sich am 18.02.2024 zum 90. Mal, im Juli wird in Berlin die Audre-Lorde-Straße eingeweiht.

Dagmar Schultz (*1941) studierte und arbeitete von 1963 bis 1972 in den USA und war in der Bürgerrechtsbewegung und Frauenbewegung aktiv. Von 1973 ‒ 1986 lehrte sie am John-F.-Kennedy Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin und habilitierte 1989 am Soziologischen Institut der FU. Sie war 1974 Mitgründerin des Feministischen Frauengesundheitszentrum Berlin und des Orlanda Frauenverlags, den sie bis 2001 als Verlegerin leitete.

Weitere Informationen sind unter https://www.facebook.com/AudreLordeBerlinYears und http://www.dagmarschultz.com zu finden.

(Textverantwortlich: KE)

Audre Lorde – Die Berliner Jahre 1984 bis 1992 (Regisseurin zu Gast!) Still
Paterson
19.04.

„Paterson“ erzählt die Geschichte des Busfahrers Paterson, der genauso heißt wie der Ort, in dem er mit seiner Frau Laura und ihrer Englischen Bulldogge Marvin lebt. Die Kleinstadt in New Jersey, ihre Bewohner_innen und die Gespräche der Fahrgäste in seinem Bus sind für ihn eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für die Gedichte, die er Tag für Tag in sein Notizbuch schreibt. Die Welt seiner Frau Laura dagegen ist im ständigen Wandel. Fast täglich hat sie neue Träume, jeder einzelne von ihnen ein anderes, inspirierendes Projekt. Paterson liebt Laura und sie ihn. Er unterstützt ihre neugefundenen Ambitionen und sie bewundert seine Gabe für Poesie. Sie ist es auch, die Paterson vorschlägt, endlich etwas zu veröffentlichen. Aber ist sein Leben nicht eigentlich perfekt, so wie es ist?

Es ist Kino im Urzustand, wie es Jarmusch am liebsten macht, ein Kino, in dem es nicht ums Erzählen, sondern ums Beobachten geht, um Wiederholung und Variation.“ Fritz Göttler

Vorbild und Idol des Busfahrers Paterson ist eine Figur des amerikanischen Kinderarztes und Lyrikers William Carlos Williams (1883 – 1963), der mit seinem bekanntesten Buch „Paterson“ die gleichnamige Industriestadt in New Jersey zu einem der literarisch denkwürdigsten Orte Amerikas erhoben hat.

Der von den Kritiker_innen gefeierte Film wurde 2016 bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt und war dort auch für die Goldene Palme nominiert. Filmhund Nellie gewann einen Palm Dog. Adam Driver erhielt im selben Jahr von der Los Angeles und der Toronto Film Critics Association jeweils eine Auszeichnung als Bester Hauptdarsteller.

(Textverantwortlich: KE)

Paterson Still
Rabot 4-358 & Rabot II (Dokumentarische Performance)
26.04.

Dokumentarfilm meets Live-Performance!

An diesem Abend präsentieren wir ein Double-Feature mit den beiden aufeinander aufbauenden Dokumentarfilmen „RABOT 4-358“ & „RABOT 2“, die von Theatermacher Simon Allemeersch, Mitglied des belgischen Künstler_innenkollektivs Lucinda Ra, mit Live-Beschriftung einzelner Filmsequenzen und Live-Performances ergänzt werden.
Von Julian und mir im Rahmen des Kino Climates-Treffen Ende 2023 in Gent entdeckt und es war sofort klar: „Unbedingt ins Offkino holen!“ Et voilà :).
Simon Allemersch wird nach den Aufführungen auch für ein Gespräch zur Verfügung stehen.


Filmbeginn „RABOT 4-358“: 19 Uhr
Filmbeginn „RABOT 2“: 21 Uhr
Die Filme bauen zwar aufeinander auf, funktionieren aber auch für sich einzelnd
, falls jmd. von euch/ihnen nur zu einer der beiden Vorführungen kommen kann/möchte.
Eintritt für das Double Feature: 12€ / ermäßigt 10€; für einzelnd besuchten Film gilt unser regulärer Eintrittspreis 7€ / ermäßigt 5€


RABOT 4-358
Simon Allemeersch / Lucinda Ra, 2014, BE, 105′, Englisch

Bevor die Sozialwohnungen des Rabot-Viertels in Gent abgerissen wurden, richtete Simon Allemeersch für mehr als zwei Jahre sein Studio in einer der Wohnungen ein. In diesem Atelier wurde eine Erinnerung an „die Blöcke“ geschaffen und eine neue Erzählung zwischen den Bewohner_innen und der Außenwelt konnte entstehen.
„Rabot 4-358“ ist eine Rekonstruktion der Geschichte sowohl der Gebäude als auch des Künstlerateliers von Allemeersch, das er während seines Aufenthalts in Zusammenarbeit mit den Bewohner_innen entwickelte. Es ist eine Suche nach Antworten auf scheinbar einfache Fragen. Wie kommt es, dass die ersten Bewohner_innen als vornehm angesehen wurden? Wie konnte sich das so schnell ändern? Warum war der einzige Gemeinschaftsraum in den Türmen eine Leichenhalle? Wer hat sich die Form dieser Gebäude ausgedacht? Diese dokumentarische Performance ist gleichzeitig eine Rekonstruktion der Geschichte der Genter Rabot-Gebäude und des Studios, das dort existierte – in Zusammenarbeit mit den Bewohner_innen.

RABOT 2
Simon Allemeersch / Lucinda Ra, 2021, BE, 95′, Englisch

„Wie geht es dir jetzt?“ ist die Ausgangsfrage von „Rabot 2“, die auf der Performance und dem Buch „Rabot 4-358“ aufbaut. Für diese Performance hat Allemeersch die Menschen, die er während des ersten Projekts getroffen hat, erneut besucht. In einem Videotagebuch sammelte er Zeug_innenaussagen, bevor er thematisch herauszoomte und den privaten und öffentlichen Reichtum unter die Lupe nahm. Ausgehend vom Rabot-Viertel richtet er seinen Blick auch auf andere Wohnprojekte und erzählt eine soziale Geschichte am Schnittpunkt von Architektur, Stadtentwicklung, Geschichte und Design.
In „Rabot II“ kombiniert Allemeersch Live-Sound, Dokumentation, Musik, Theater und Videomaterial zu einem handwerklich gefertigten „subjektiven Dokumentarfilm“.


„Rabot II“ live in Gent

(Textverantwortlich & Foto: KE)

Rabot 4-358 & Rabot II (Dokumentarische Performance) Still