Nostalgia de la luz – Nostalgie des Lichts
Nostalgia de la luz – Nostalgie des Lichts Still

In Erinnerung an den Militärputsch am 11.09.1973, im Rahmen von „Chile 50“ und in Zusammenarbeit dem AStA der Uni Bielefeld, zeigen wir in unserer kleinen Reihe neben drei chilenischen Produktionen einen Langfilm und sieben Kurzfilme, die in den 1970ern und ‘80ern in der DDR von der DEFA unter Mitwirkung von chilenischen Filmschaffenden entstanden sind. Wir freuen uns, das Thema somit auch aus der exilchilenischen und deutsch-deutschen Perspektive beleuchten zu können. Aus Platzgründen sei an dieser Stelle auf das Interview mit Dr. Claudia Sandberg (Melbourne) verwiesen, die das Thema im Rahmen zweier Dokumentarfilme erforscht hat.

Außerdem hier der Link zur Ausstellung im Rahmen von „Chile 50“ in der VHS Bielefeld.


Vorfilm:
Lautaro, Regie: Juan Forch (DDR 1978, 18 Min., digital, Animation unter Verwendung von Illustrationen von Hernándo Léon)
Das Volk der Mapuche bittet in schwierigen Situationen, bei Dürre und Krankheit, stets die Götter um Hilfe. Als die spanischen Eroberer mit ihren Pferden ins Land kommen, erscheinen sie den Mapuche als überirdische Wesen, und die Macht ihrer Götter versagt. Die Spanier nehmen viele Ureinwohner gefangen, um sie zu Sklaven zu machen. Lautaro, ein junger Krieger, entdeckt in der Gefangenschaft, dass die Eindringlinge nur Menschen sind und keine göttlichen Kräfte besitzen. Er lernt, ihre Waffen zu gebrauchen und organisiert den Widerstand gegen die Eroberer.“ DEFA-Stiftung


Hauptfilm:
Nostalgia de la luz – Nostalgie des Lichts

Wir beginnen unsere kleine Reihe mit „Nostalgia de la luz“, einem dokumentarischen Essay von Patricio Guzmán, von der Europäischen Filmakademie als Bester Dokumentarfilm des Jahres 2010 ausgezeichnet.  In Guzmáns Film ist Erinnerung die zentrale Metapher, die ganz unterschiedliche Elemente — Lichtjahre entfernte, längst erloschene Galaxien, untergegangene Kulturen und die Gräueltaten der länger und nicht so lange zurückliegenden Geschichte Chiles — mit den Disziplinen der Astronomie, Archäologie und Anthropologie verbindet. Inspiriert wurde Guzmán, der in Santiago und Madrid Filmproduktion studiert hat, durch seine eigene Leidenschaft für die Sterne, die ihn schon als Jungen in ihren Bann gezogen hatten. In den 1960ern sollte dann die internationale Wissenschaft Chile für sich entdecken, denn mit der ariden Atacama-Wüste im bergigen Norden, einer Region von der Größe Portugals, bietet das Land am westlichen Rand des südamerikanischen Kontinents ideale Möglichkeiten für die Beforschung erkalteter kosmischer Konstellationen. Davon zeugen die drei markanten Observatorien des European Southern Observatory (ESO) mit ihren hochsensiblen Teleskopen, die der Landschaft die surreale Aura eines Sci Fi-Films verleihen. Doch auch die Wüste ist ein immenses Gedächtnis, da sie auf Grund ihres hohen Trockenheitsgrades imstande ist, Vergangenes auf einzigartige Weise zu konservieren. Tausende Regimegegner_innen wurden zu Zeiten Pinochets gefoltert und ermordet, von vielen fehlt bis heute jede Spur. Neben Meeresfossilien und den mumifizierten Überresten prähistorischer Zivilisationen trifft man in der Atacama-Wüste, wo sich während der Diktatur auch das berüchtigte Konzentrationslager Chacabuco befand, auch auf die sterblichen Überreste so mancher dieser „Desaparecidos_as“.  Vicky und Violeta gehören zur kleinen, beharrlichen Gruppe der Suchenden, überwiegend Frauen, die seit Jahrzehnten das salzige Geröll umgraben und damit Stachel im Fleische einer Gesellschaft sind, die von einer Politik des Vergessens geprägt ist. Eindrucksvoll und sehr berührend, verknüpft der Film diese Geschichten mit denen weiterer Protagonist_innen, die sich alle, wenn auch jede_r auf ihre und seine Weise, in den Dienst der Erinnerung gestellt haben in ihrem Ringen nach Wissen, Gewissheit, Würde und Menschlichkeit.

[Nostalgia de la luz] ist ebenso poetisch wie politisch, lebt von den beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und den umwerfenden Bildern des Weltalls, aber auch von der Kraft seiner Protagonisten, insbesondere der alten Frauen und ihres zähen Kampfs gegen das kollektive Vergessen. „Nostalgia de la luz“ ist ein bemerkenswert reifes Spätwerk, das transzendent, ohne metaphysisch zu werden, die Topografie der Atacama-Wüste im Norden Chiles mit Fragen nach unserem Verhältnis zu Vergangenheit und Gegenwart verbindet, die Unendlichkeit des Weltraums und die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit Chiles.“ Wolfgang Hamdorf, Filmdienst

Patricio Guzmán Lozanes wurde im August 2023 mit dem Nationalpreis des chilenischen Ministeriums für Kultur(en), der Künste und des Nationalerbes für sein „wesentliches und tiefes Engagement für soziale Gerechtigkeit, Wahrheit und Erinnerung“ ausgezeichnet (www.cultura.gob.cl).

In der Tat ist Guzmán, geboren 1941 in Santiago, nicht nur einer der bedeutendsten Filmemacher Chiles, sondern auch dessen unermüdlicher Chronist. Dies unterstreichen bereits die Titel seiner bekanntesten Werke, von denen viele preisgekrönt sind: Etwa „Die Schlacht um Chile – Kampf eines unbewaffneten Volkes“ (OT: „La Batalla de Chile“; 1975, 1976, 1979), die berühmte Trilogie im Stil des Direct Cinema, in Chile begonnen und nach Foltererfahrungen dann als Exilierter mit Hilfe des kubanischen Filminstituts ICAIC beendet. Außerdem „Chile, hartnäckige Erinnerung“ („Chile, la memoria obstinada“ , 1997), „Der Fall Pinochet“ („El caso Pinochet“, 2001), „Salvador Allende“ (2004), die Chile-Trilogie in den 2010er Jahren, bei der „Nostalgia de la luz“ den Auftakt bildete – sowie sein neuster Film, „Das Land meiner Träume“ (OT: „Mi país imaginario“, 2022), der das Aufbegehren der Menschen, allem voran der Frauen, gegen den neoliberalen Kurs der Regierung Piñera und gegen die alltägliche Diskriminierung von Frauen* und Minderheiten dokumentiert und vorsichtig optimistisch endet – mit dem Wahlsieg des jungen, linksliberalen Gabriel Boric, der sich die Reform der noch aus Zeiten der Diktatur stammenden Verfassung auf die Fahnen geschrieben hatte. Wie Maria Marchetta rund ein Jahr später treffend im Programmtext der Viennale ’23 schreibt: „Heute wissen wir, dass die Abstimmung am 5. September 2022 [einer Volksabstimmung, bei der es um die eben diese Reformen ging] die Hoffnung, aus einem imaginierten ein reales Land zu machen, zunichte machen wird. Aber aufgeben war und ist, wie sich hier lernen lässt, keine Option.“

(Textverantwortliche: AR)

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