Sans Soleil – Unsichtbare Sonne
Sans Soleil – Unsichtbare Sonne Still

Nur äußerlich einem Dokumentarfilm gleichend, beginnt der Film mit dem Schnappschuss dreier Kinder auf Island im Jahr 1965. Den überwiegenden Teil bilden nach Art eines Reiseberichts montierte Aufnahmen aus Afrika und Japan, ergänzt durch Standbilder aus Alfred Hitchcocks Filmmeisterwerk Vertigo (USA 1958), dessen Drehorte der reisende Kameramann aufsucht und mit seinem Film verknüpft. Die assoziative Zusammenstellung kombiniert Menschen, Gebäude und Verkehrsmittel an unterschiedlichsten Orten der Welt. Ihr Sinn erschließt sich höchstens bruchstückhaft aus dem Gedankenstrom des Erzählers. Insbesondere in der japanischen Hauptstadt Tokio verliert sich die Bildbetrachtung in einem Strudel unlesbarer Zeichen, ist die Kamera fasziniert vom Nebeneinander alter religiöser Rituale und neuer digitaler Massenmedien.

Was gewiss ist: Mensch wird den Film beim ersten Sehen und Hören nicht verstehen. Diesen Befund teilen praktisch alle Rezensent_innen. Ein paar Beispiele aus der deutschen Presse zwischen Herbst 1983 und Frühjahr 1984 mögen das verdeutlichen: „Unmöglich, in der lyrisch-philosophisch durchwogten Gedankenfülle, worin die Blumen der Weissagung wie die harschen Disteln der Statistik blühen, gleich ganzen Überblick zu erlangen.“ (Stuttgarter Zeitung) – „Man muss den Film zweifellos mehrmals sehen, um diese komplexe Konstruktion und den artistischen Witz, der darin steckt, zu erfassen.“ (Tagesspiegel) – „Bilder und Worte spielen mit dem Zuschauer Hase und Igel – und während man atemlos zuschaut, tröstet man sich über die eigene Wehrlosigkeit hinweg mit einem Wort von Adorno: ‚Der Wert eines Gedankens misst sich an seiner Distanz zu der Kontinuität des Bekannten.‘ Nach zehn Minuten hat Chris Marker, dieser originelle Außenseiter, gewonnen: Er hat aus der Banalität der Welt die ersten strahlenden Funken einer Welterklärung geschlagen.“ (Süddeutsche Zeitung)

Die raffinierte Annäherung an den Prozess des Verstehens und des Erinnerns als kinematographischen Essay – Chris Markers „Sans Soleil“ gilt bis heute als innovatives Beispiel dieser Gattung.

(Textverantwortlicher: JU // Textquelle: bpb – Bundeszentrale für politische Bildung)