Sur – Süden
Sur – Süden Still

Sur, „Süden“, so lautete der Name der Bar, in der Floréals Clique einst die Nächte bei endlosen Gesprächen um Politik, das Leben und die Liebe zum Tag gemacht hatte. Es sollte sie später in alle Winde verschlagen. So manche waren von der Geheimpolizei „verschwunden“ worden. Auch Floréal holten sie irgendwann. Ironischerweise lag das Straflager ebenfalls im Süden, im patagonischen Nirgendwo am äußersten Rand seiner Heimat Argentinien. Wir begegen Floréal im Film nach dem Ende der Diktatur, zum Zeitpunkt seiner Rückkehr in die Hauptstadt, wo er eine Frau und einen kleinen Sohn hat. Doch vor dem Wiedersehen liegen noch zahlreiche Erinnerungen und Erwartungen, Ängste und Träume.

Die so zwischen Früher und Heute, Realität und Imagination mäandernde Erzählstruktur des Films wird untermalt von den unfassbar traurigen, schönen Tangos Astor Piazzollas und dem Gesang Roberto „El Polaco“ Goyeneches: „Die Kamera gleitet durch den Raum der leergefegten Straßen, das Bandoneón erklingt, man hört es atmen“, wie Walter Ruggle für Trigon schreibt.

Vielleicht ist „Sur“, der die somnambule Erinnerungsreise seines Protagonisten fast durchweg in bläuliches Chiaroscuro taucht, der poetischste Film des sonst so zornigen Fernando Ezequiel „Pino“ Solanas. Als Coautor eines wegweisenden Manifests zum Tercer Cine und des dokumentarischen Film-Epos „La hora de los hornos“ („Die Stunde der Feuer“, 1968, mit Santiago Álvarez) war dieser einer der Pionier_innen eines dezidiert antiimperialistischen Kinos lateinamerikanischer Prägung. Auch für Solanas bedeutete „Sur“ eine Auseinandersetzung mit dem Neubeginn; in seinem Fall nach Jahren zwangsweisen europäischen Exils. Über dreißig Lebensjahre lagen dann noch vor ihm, in denen er das politische Geschehen seines Landes kritisch kommentierte – ob in dem Roadmovie „El viaje“ („Die Reise“, 1992), der dokumentarischen Groteske „Memorias del saqueo“ („Erinnerungen einer Plünderung“, 2008) oder, zuletzt, dem Filmessay „Viaje a los pueblos fumigados” (“Reise in die verseuchten Dörfer”, 2019). Ein Attentat aus dem Jahr 1991, das er nur knapp überlebte, hatte ihn noch bestärkt in seinem politischen Aktivismus und seinem unermüdlichen Engagement dafür, den globalen Süden ins Zentrum der Weltöffentlichkeit zu rücken. 2020 verstarb Fernando Solanas 84jährig an den Folgen von Covid.

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